Friedensnobelpreis 1911: Tobias Michael Carel Asser — Alfred Hermann Fried

Friedensnobelpreis 1911: Tobias Michael Carel Asser — Alfred Hermann Fried
Friedensnobelpreis 1911: Tobias Michael Carel Asser — Alfred Hermann Fried
 
Der Niederländer Asser erhielt den Preis für seinen Einsatz für das internationale Recht, der Österreicher Fried für sein literarisches Wirken für den Pazifismus.
 
 Biografien
 
Tobias Michael Carel Asser, * Amsterdam 28. 4. 1838, ✝ Den Haag 29. 7. 1913; 1862-93 Professor für internationales Recht in Amsterdam, 1873 Mitbegründer des Instituts für Völkerrecht, seit 1875 Rechtsberater des niederländischen Außenministeriums, 1893 Mitglied des niederländischen Staatsrats, 1904 niederländischer Staatsminister.
 
Alfred Hermann Fried, * 11. 11. 1864, ✝ Wien 4. 5. 1921; 1891-99 Herausgeber der Zeitschrift »Die Waffen nieder«, ab 1899 Herausgeber der Zeitschrift »Die Friedenswarte«, 1892 Mitbegründer der Deutschen Friedensgesellschaft.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Als der Vorsitzende des Osloer Nobelpreiskomitees 1911 in seiner Preisrede die Verdienste des neuen Friedensnobelpreisträgers Tobias Asser rühmte, griff er tief in die Geschichte. Die Niederländer sollten in ihm, so empfahl der Vorsitzende, den legitimen Nachfolger des Pioniers des Völkerrechts aus dem 17. Jahrhundert sehen. Die Anspielung galt dem großen niederländischen Gelehrten und Staatsmann Hugo Grotius, der 1625 das Epoche machende Werk »De iure belli ac pacis« (lateinisch; vom Recht des Kriegs und des Friedens) veröffentlicht hatte.
 
Dieser Vergleich war keine Übertreibung. Durch sein vielfältiges Wirken für das internationale Recht war der Niederländer Asser zu dem Hugo Grotius des 19. und 20. Jahrhunderts geworden. Schon in jungen Jahren hatte der Jurist an der Amsterdamer Universität eine Professur erhalten. Sein Spezialgebiet war das internationale Privatrecht. Hier wurde Asser bald zu einem der führenden Experten in Europa. Die von ihm seit 1863 herausgegebene Zeitschrift »Revue de Droit International et de Législation Comparée« (französisch; Zeitschrift für internationales Recht und für vergleichende Gesetzgebung) war Pflichtlektüre für alle Völkerrechtler. 1873 gehörte er zu den Gründern des Instituts für Völkerrecht, das 1904 für seine Verdienste um das internationale Recht mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
 
Noch mehr als den Theoretiker aber schätzte das Nobelpreiskomitee den Praktiker Asser. 1875 hatte ihn das niederländische Außenministerium zu seinem Rechtsberater ernannt. In der Folgezeit wurde er zum unentbehrlichen juristischen Gestalter der internationalen Politik seines Heimatlands. Seiner Initiative war die Beteiligung der Niederlande an der Suez-Konvention von 1888 zu verdanken, die die freie Schifffahrt durch diesen wirtschaftlich und strategisch wichtigen Kanal in Ägypten garantierte. Internationale Anerkennung verschaffte ihm seine Rolle als Gestalter von insgesamt vier Haager Konferenzen über das internationale Privatrecht (1893, 1894, 1900, 1904). Hier war Asser für ein Abkommen verantwortlich, das eine einheitliche internationale Verfahrensweise für Zivilprozesse vorsah, sowie für mehrere Verträge über internationales Familienrecht. Nachdem er 1893 in den niederländischen Staatsrat berufen worden war, nahm Asser auch nachhaltigen Einfluss auf die großen Friedenskonferenzen im Haag in den Jahren 1899 und 1907. Nicht zuletzt auf seine Anregung hin wurde auf der ersten Haager Konferenz die Einrichtung des Internationalen Schiedshofes beschlossen. Seit 1900 war Asser Mitglied in diesem Gremium zur Schlichtung von internationalen Streitfällen. In dieser Eigenschaft war er an der Beilegung der Auseinandersetzungen zwischen den USA und Russland um die Fischereirechte in der Beringstrasse (1902) beteiligt.
 
Asser starb zwei Jahre nach der Verleihung des Friedensnobelpreises als eine hoch geachtete Persönlichkeit.
 
 In Wort und Schrift für den Frieden
 
Alfred Fried, dem zweiten Preisträger von 1911, war in dieser Hinsicht weniger Glück beschieden. Als er 1921 in Wien starb, war er fast vergessen. Dabei hatte er, wie in der Lobrede des Nobelpreiskomitees betont wurde, sein ganzes Leben der Arbeit für den Frieden gewidmet. In den Worten des Vorsitzenden war Fried der fleißigste literarische Pazifist der vergangenen 20 Jahre gewesen. Und tatsächlich hat Fried vor allem mit Wort und Schrift für den Frieden gewirkt.
 
Angefangen hatte er als einfacher Buchhändler in Wien. Mit, wie das Nobelpreiskomitee fand, typisch deutschen Tugenden wie Zielstrebigkeit und Eifer machte der Österreicher Fried bald Karriere als Verleger und als Schriftsteller. Entscheidend für sein leidenschaftliches Bekenntnis zum Pazifismus war das Wirken Bertha von Suttners (Nobelpreis 1905), der Pionierin der europäischen Friedensbewegung. Ihr Antikriegsbestseller »Die Waffen nieder« von 1889 machte aus Fried einen Friedensaktivisten. Er nahm Kontakt mit Bertha von Suttner auf und übertrug ihr 1891 die Herausgeberschaft einer Zeitschrift, die ebenfalls den Titel »Die Waffen nieder« trug. Im Jahr darauf gründete er in Berlin die Deutsche Friedensgesellschaft — wieder nach dem Vorbild Bertha von Suttners, die eine österreichische Friedensgesellschaft ins Leben gerufen hatte. 1899 wurde die Zeitschrift »Die Waffen nieder« durch das nun von Fried selbst herausgegebene Journal »Die Friedenswarte« ersetzt, nach den Worten eines Zeitgenossen »die weltweit wichtigste Zeitschrift der Friedensbewegung«.
 
Nach einem Besuch der Haager Friedenskonferenz von 1899 entwickelte Fried eine etwas eigenwillige, für ihn jedoch bezeichnende Vorstellung einer wirkungsvollen Friedenspolitik. Der Krieg, dem man nicht mit Abrüstung und Schiedsgerichten beikommen könne, war seiner Meinung nach das Ergebnis des Fehlens einer allgemein anerkannten, internationalen Rechtsordnung (Fried benutzte dafür den Begriff »Anarchie«). Folglich lautete seine Forderung: Vor allen anderen Maßnahmen müssten die Völker dazu gebracht werden, sich einem Weltgesetz zu unterwerfen.
 
In den folgenden Jahren versorgte Fried das Publikum mit einer ganzen Serie von Büchern und anderen Schriften. 1905 erschien sein »Handbuch der Friedensbewegung«, das bis heute ein Klassiker der pazifistischen Literatur ist. Hier beschrieb er gewissenhaft die Geschichte der Friedensbewegung, zählte die wichtigsten Friedenskonferenzen auf und zeichnete Porträts der führenden Köpfe des internationalen Pazifismus.
 
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 war für Fried, im Gegensatz zu vielen seiner Mitstreiter in der Friedensbewegung, kein Grund, seine pazifistischen Bemühungen einzustellen. Auf Druck der österreichischen Regierung musste der Nobelpreisträger wegen seiner kritischen Haltung zum Krieg Wien verlassen und seine Tätigkeit daraufhin in der Schweiz fortsetzen. Als der Krieg zu Ende war, hoffte er auf eine dauerhafte, die Prinzipien des Rechts berücksichtigende Friedensordnung. Doch sowohl den Versailler Vertrag (1919) als auch den neu gegründeten Völkerbund sah er als untaugliche Mittel an, künftige Kriege zu verhindern. Enttäuscht kehrte er 1920 nach Wien zurück. Dem Scheitern seiner Ideale folgte die persönliche Katastrophe: Mit dem Untergang der Habsburger Monarchie verlor er fast sein ganzes, aus den Nobelpreisgeldern stammendes Vermögen. Schon ein Jahr später starb der unermüdliche Streiter für den Frieden, von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, an einer Lungenentzündung.
 
H. Sonnabend

Universal-Lexikon. 2012.

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